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Viele Unternehmen bestehen aus mehreren juristischen Personen und haben eine Struktur, die auf die Streuung von Risiken abzielt. Die Einkünfte und Ausgaben des Unternehmens können über mehrere juristische Personen verteilt sein. Oftmals werden die Einkünfte und Ausgaben dann in der Verwaltung über interne Kontenverhältnisse wieder der richtigen juristischen Person zugeordnet. Nicht nur kann eine derartige Verrechnung im Insolvenzfall angreifbar sein. Sie kann auch Regressfälle zur Folge haben. Daher sollten diesbezüglich innerhalb der Unternehmensgruppe schriftliche Vereinbarungen getroffen werden, zum Beispiel in Form eines Mehrparteien-Verrechnungsvertrags. Der Oberste Gerichtshof der Niederlande, der Hoge Raad, hat in den letzten Jahren eine Reihe wichtiger Urteile zu solchen Verträgen erlassen. Sein Urteil vom 15. November 2019 lässt sich dieser Reihe hinzufügen (HR 15. November 2019, ECLI:NL:HR:2019:1789, NJ 2020/166).

Relevant ist dieses letzte Urteil vor allem für die sogenannte Reziprozitätsanforderung (wederkerigheidsvereiste). Nach niederländischem Recht ist die Verrechnung nur zulässig, sofern ein Schuldner sowohl eine Leistung gegenüber der Gegenpartei schuldet als auch eine Leistung von derselben Gegenpartei zu fordern hat (vgl. Art. 6:127 Abs. 2 niederländisches Bürgerliches Gesetzbuch (Burgerlijk Wetboek / BW) und Art. 53 Abs. 1 niederländisches Insolvenzgesetz (Faillissementswet / Fw)). Der Schuldner der insolventen Gesellschaft kann seine Schuld gegenüber der insolventen Gesellschaft somit grundsätzlich nicht mit einer Forderung der insolventen Gesellschaft gegenüber einem Dritten verrechnen. Dieser Dritte ist in Konzernstrukturen häufig ein anderes Gruppenunternehmen.

Deshalb weichen die Parteien von Mehrparteien-Verrechnungsverträgen in der Regel von der Reziprozitätsanforderung ab. Der Hoge Raad hat entschieden, dass solche Vereinbarungen insolvenzbeständig sind. Folglich können Vertragsparteien relativ einfach eine insolvenzbeständige wechselseitige Verrechnung vereinbaren, ohne dass es dazu verschiedener ergänzender juristischer Konstruktionen bedarf. Voraussetzung ist aber, dass die beteiligten Parteien die Vereinbarungen vor der Insolvenz getroffen haben.

Sind dadurch die Insolvenzrisiken vollständig gedeckt? Nicht unbedingt. Der Hoge Raad urteilte weiter, dass Artikel 53 Fw nicht vollständig dispositives Recht ist. Wichtig ist, dass eine Verrechnung nur möglich ist, wenn Schuld und Forderung vor der Insolvenz entstanden sind oder sich aus Handlungen ergeben, die vor der Insolvenzeröffnung vorgenommen wurden (vgl. HR 23. März 2018, ECLI:NL:HR:2018:424 (Credit Suisse/Jongepier q.q.)). Andernfalls handelt es sich um eine Vermögensverschiebung zwischen der verrechnenden Partei und dem Dritten. Die gesetzliche Regressforderung entsteht erst zu diesem Zeitpunkt. Der Hoge Raad entschied, dass Vertragsparteien diese Regressforderung nicht mit der Verrechnungsklausel abdecken können. Zudem steht der Zeitpunkt der Entstehung der Regressforderung der Verpfändung im Weg. Die Forderung steht daher zur freien Verfügung des oder der Insolvenzverwalters/in. Es steht Vertragsparteien jedoch frei, ergänzende Vereinbarungen über vertragliche Regressforderungen (oder den Zeitpunkt von deren Entstehen) zu treffen. Auf diese Weise können sie Regressforderungen insolvenzbeständig machen (vgl. HR 16. Oktober 2015, ECLI:NL:HR:2015:3023 (De Lage Landen c.s./Van Logtestijn)). Auch in diesem Fall ist es äußerst wichtig, die Vereinbarungen festzuhalten.

Selbstverständlich stehen Insolvenzverwalter/innen im Insolvenzfall die üblichen gesetzlichen Mittel zur Verfügung. Wurden keine guten Vereinbarungen getroffen, bilden die Anfechtung der (Verrechnungs-)Vereinbarungen und die Geschäftsführerhaftung ein Risiko. Schenken Sie daher (fehlenden) Vereinbarungen innerhalb der Unternehmensgruppe besondere Aufmerksamkeit, und legen sie diese Vereinbarungen schnellstmöglich schriftlich nieder, zum Beispiel in Form eines Mehrparteien-Verrechnungsvertrags.

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Juli 2020