Ein Auftragnehmer erhebt aufgrund der verspäteten Auftragserteilung seitens des öffentlichen Auftraggebers Anspruch auf eine Zuzahlung. Dieser Fall tritt in der Praxis immer wieder auf.
Ob die Erhebung eines solchen Anspruchs Aussicht auf Erfolg hat, hängt von den konkreten Umständen des Falls ab. So ist u. a. relevant, was in den Ausschreibungsunterlagen bezüglich des (spätesten) Zeitpunkts der Auftragsvergabe festgelegt ist. Falls die Ausschreibungsunterlagen für eine spätere Auftragserteilung eine Zuzahlung vorsehen, hat der Auftragnehmer gute Karten. Ist keine Zuzahlung festgelegt, wird es für den Auftragnehmer deutlich schwieriger. Grund hierfür ist die Wirkung der Ausschreibungsvorschriften. In diesem Beitrag möchten wir näher auf dieses Thema eingehen.
Bindungsfrist
In den Ausschreibungsunterlagen ist in der Regel eine Bindungsfrist festgelegt, innerhalb derer der Bieter sein Angebot aufrechterhalten muss, nachdem die Frist für die Angebotsabgabe verstrichen ist. Das niederländische Auftragsvergabegesetz von 2012 (Aanbestedingswet 2012) gibt keine feste Bindungsfrist vor. In der niederländischen Auftragsvergabeverordnung für Werke von 2016 (Aanbestedingsreglement Werken 2016 / ARW 2016) ist eine Frist von fünfzig Tagen vorgesehen. Von dieser Vorgabe kann der öffentliche Auftraggeber in den Ausschreibungsunterlagen jedoch begründet abweichen.
Nicht selten kommt es vor, dass ein unterlegener Bieter ein Eilverfahren gegen den öffentlichen Auftraggeber anstrengt, in dem er die Vergabeentscheidung anfechtet. Ist in den Ausschreibungsunterlagen nicht festgelegt, dass die Bindungsfrist in diesem Fall um „x“ Tage nach dem Datum im Eilverfahren verlängert erachtet wird, bittet der öffentliche Auftraggeber die Bieter oftmals um ihre Zustimmung zur Verlängerung der Bindungsfrist. Auch ohne Eilverfahren kommt es – aus unterschiedlichsten Gründen – vor, dass ein öffentlicher Auftraggeber eine solche Bitte formuliert.
Vorbehalte
Stimmen die Bieter der Bitte um Verlängerung der Bindungsfrist zu, ohne dabei ausdrücklich einen Vorbehalt bezüglich des Ersatzes von zusätzlichen Kosten und Schäden und der Vergütung der verlängerten Bauzeit zu formulieren, kann der Bieter, dem der Auftrag am Ende erteilt wird, den öffentlichen Auftraggeber später nicht mehr haftbar machen. Dies folgt aus einem Urteil des Schiedsgerichtsrats für das Bauwesen in den Niederlanden (Raad van Arbitrage voor de Bouw) vom 18. November 2008.
Es scheint daher ratsam zu sein, zusammen mit der Zustimmung zur Verlängerung der Bindungsfrist einen Vorbehalt bezüglich solcher Schäden und/oder Kosten zu formulieren. Doch der Schein trügt. Ein solcher Vorbehalt sorgt nämlich dafür, dass sich das (gültige) Angebot in seiner Art ändert und zu einem bedingten und damit ungültigen Angebot wird. Der Auftrag, für den das Angebot abgegeben wird, sieht nämlich die Zuerkennung solcher zusätzlichen Kosten nicht vor. Damit wird ein bedingtes Angebot abgegeben, das der Anfrage bzw. Leistungsbeschreibung nicht mehr entspricht. Dadurch wird das Angebot ungültig.
Bieter können ihr Angebot folglich nur ohne Bedingungen aufrechterhalten. Bietern bleibt daher oftmals nichts anders übrig, entweder (die Gefahr) zusätzliche(r) Kosten durch Verzögerungen in Kauf zu nehmen, oder der Bitte um Verlängerung nicht zuzustimmen.
Lösung
Wir sind jedoch der Ansicht, dass es für Bieter Möglichkeiten gibt, ihre Ansprüche durchzusetzen. Dies ist zum Beispiel möglich, wenn der Bieter gleichzeitig mit oder noch vor seiner Zustimmung zur Verlängerung der Bindungsfrist gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber ankündigt, dass er umgehend nach dem Vertragsschluss seine Rechte geltend machen wird und, sofern möglich, eventuell Vereinbarungen hinsichtlich (beispielsweise) einer Zuzahlung zu treffen beabsichtigt. Auf diese Weise wird unserer Auffassung nach nicht auf diese Rechte verzichtet, wenn der Verlängerung der Bindungsfrist bedingungslos zugestimmt wird.
Urteil der Rechtbank Overijssel vom 13. Februar 2019
Ein Beispiel für einen Fall, in dem der Gewinnerbieter der erbetenen Verlängerung der Bindungsfrist zustimmte und dann mit der Tatsache konfrontiert war, dass er gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber eben keinen Anspruch auf den Ersatz zusätzlicher Kosten geltend machen konnte, findet sich in einem Urteil der Rechtbank Overijssel vom 13. Februar 2019. Das Urteil erging in einem zivilrechtlichen Hauptverfahren, wobei sich die Frage nach der Haftung der Provinz als öffentlichem Auftraggeber auf den Umstand zuspitzte, dass die Provinz dem Gewinnerbieter den Auftrag für die Herstellung des Werks elf Tage nach dem Verstreichen der Bindungsfrist erteilte. Die Provinz haftet in diesem Fall nicht für Schaden aufgrund der verspäteten Auftragsvergabe. Das Gericht hat entschieden, dass das Verstreichen der Bindungsfrist impliziert, dass der Bieter nicht mehr an sein Angebot gebunden war. Es stand ihm somit frei, den Auftrag anzunehmen oder nicht. Der Bieter hat den Auftrag bedingungslos angenommen und somit den Auftrag ohne Vorbehalte ausgeführt. Damit hat er nach dem Urteil der Rechtbank Overijssel die Gefahr etwaiger Preiserhöhungen von Materialien und einer (etwas) kürzeren Bauzeit in Kauf genommen. Hätte der Bieter der Verlängerung zwar bedingungslos zugestimmt und (somit) den Auftrag bedingungslos angenommen, jedoch als „Vorbehalt“ formuliert, dass er nach dem Vertragsschluss vertragliche Vereinbarungen bezüglich einer Zuzahlung zu treffen beabsichtigt, hätte diese Angelegenheit unserer Ansicht nach anders ausgehen können.
Private Ausschreibungen
Zum Schluss möchten wir noch kurz auf den etwas anders gelagerten Rahmen für private Ausschreibungen eingehen. Unter Umständen haben Bieter bei solchen Ausschreibungen mehr Spielraum. Falls die Grundsätze des Auftragsvergaberechts (u. a. das Gleichheitsprinzip) vom Auftraggeber ausdrücklich ausgeschlossen wurden, kann der Auftraggeber unter Umständen der Bitte des Bieters um Zuzahlung nachkommen, ohne dessen Angebot für ungültig erklären zu müssen. Ein vom Bieter bei der Verlängerung der Bindungsfrist formulierter Vorbehalt muss in diesem Fall also nicht die Ungültigkeit des Angebots des Bieters zur Folge haben.
Fazit
Bieter müssen damit rechnen, dass es im Ausschreibungsverfahren zu Verzögerungen kommt und die Auftragsvergabe später als geplant erfolgt. Dadurch können Bietern Schäden und/oder zusätzliche Kosten entstehen.
Für den Gewinnerbieter ist es in diesem Fall ratsam, abzuwägen, ob er diese Schäden und/oder Kosten in Kauf nehmen möchte. Möchte der Bieter, dass der öffentliche Auftraggeber die ihm entstandenen Schäden und/oder Kosten ersetzt, muss er vorsorgen, und zwar schon bevor er der vom öffentlichen Auftraggeber erbetenen Verlängerung der Bindungsfrist zustimmt. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Ausschreibungsunterlagen bereits eine Zuzahlungsregelung bei späterer Auftragsvergabe enthalten.
Um zu verhindern, dass das Angebot aber als bedingt betrachtet und damit ungültig wird, muss der Bieter sein Angebot zwar bedingungslos aufrechterhalten, gleichzeitig aber dem öffentlichen Auftraggeber ankündigen, dass er nach der Auftragsvergabe Anspruch auf eine Zuzahlung, die Verrechnung von Mehrarbeit und/oder Schadenersatz erheben wird. Wir empfehlen jedoch, auch zu bedenken, ob eine solches Vorgehen nicht in strategischer und/oder wirtschaftlicher Hinsicht Nachteile mit sich bringen könnte. Öffentlichen Auftraggebern empfehlen wir, es gar nicht erst zu einer solchen Situation kommen zu lassen, und eine (Zuzahlungs-)Regelung für eine etwaige verspätete Auftragsvergabe zu formulieren.
Weiterführende Informationen
Sie haben Fragen zur Angebotsabgabe im Rahmen von Ausschreibungen, zum Anspruch auf Zuzahlungen oder zu anderen auftragsvergabe- oder baurechtlichen Angelegenheiten? Dann wenden Sie sich an einen Rechtsanwälte aus dem Team Immobilienrecht.
Oktober 2019